In vielen alten Kulturen gab es die Idee der Wiedergeburt. Das klingt heute wie aus einer surrealen Welt. Dabei ist die Grundidee durchaus intelligent. Wenn nämlich der Mensch nicht nur ein Tier ist, sondern eine geistige Entität, dann kann das Tier sterben und vergehen, die geistige Konsistenz bleibt jedoch erhalten – und kann sich dann neu manifestieren.

Ein wenig kannst du dir das so vorstellen: Ein Regentropfen hat während seiner Existenz, also vom Loslösen aus der Wolke bis zum Eintreffen auf der Erde, eine bestimmte Form, ist also ein Etwas. In dem Moment, wo dieses Etwas – mit großer Wahrscheinlichkeit – im Meer auftrifft, löst sich seine Form, aber das, was den Tropfen ausgemacht hat, bleibt im Meer erhalten. Und wird möglicherweise in neuer Form durch die Verdunstung wieder zur Wolke und zu einem völlig neuen Tropfen.

Die dahinterliegende Grundidee vom endlosen Werden und Vergehen könnte also auch für jeden Einzelnen von uns zutreffen, sodass wir immer wieder neu entstehen, und zwar nach Spielregeln, die durch unsere individuelle Historie geprägt sind. Das ist, wie wir am Universum ablesen können, kein simpler Wiederholungsprozess, sondern geschieht offensichtlich in einer kreativen Dynamik – niemals völlig neu, aber auch niemals immer das Gleiche. Die berühmte Tuschezeichnung im Zen mit dem offenen Kreis ist ein Symbol dafür. In der Meditation taucht nämlich sehr schnell das Koan unserer eigenen Position zwischen dem Vergänglichen und dem Wieder-Neugeborenen auf. In der Psychologie wird die Fähigkeit, sich nach einem "Scheitern" wieder aufrichten zu können und neu zu beginnen, als Resilienz bezeichnet.

Wer kennt das nicht, sich nach einer Dusche oder nach einem Bad wie neu geboren zu fühlen? Noch viel deutlicher zeigt sich dieser Effekt nach einer längeren Meditationseinheit, zum Beispiel nach einem Sesshin. Wiedergeboren zu werden, ist also nicht nur eine spirituelle Konzeption, sondern auch eine wesentliche Fähigkeit, den Alltag in seiner Dynamik besser zu managen. Allerdings darfst du dabei nicht vergessen, dass die Voraussetzung für das Wiedergeborenwerden das Sterben Ist. Wenn man diesen Dreh einmal raus hat, ist das auch nicht mehr ganz so tragisch.

Gassho
Paul