Diese ermunternde (oder auch erleichternde?) Aufforderung kommt vor allem im Alten Testament vor: gleich 126 Mal. Damit hat der Satz schon die Qualität eines Mantras. Es gab wohl viel zu fürchten. Heute wissen wir allerdings, dass Affirmationen mit "nicht" eher das Gegenteil des Gewünschten bewirken.
Unser inneres System ist konstruktiv aufgebaut - das "nicht" kann es zwar rational verstehen, aber nicht verwerten. Was als Aufforderung für unser Gehirn übrig bleibt ist: "Fürchtet Euch!"
Der Zwilling von Furcht ist die Angst. Die Evolution hat vermutlich alle Wesen mit der Fähigkeit, Angst zu haben, ausgestattet. Die Menschen sind offensichtlich besonders reichlich mit Angst versorgt worden. Allerdings haben wir uns damit auch einen großen Vorsprung in der Entwicklung eingehandelt. Furcht und Angst haben dazu geführt, dass der Mensch ein besonders stark vorausschauendes Denken entwickelt hat. Denn nur wenn ich etwas befürchte, kann ich mich darauf einstellen, es zu verhindern.
Diese Angst-orientierte Vorausschau gelingt in der Praxis so gut, dass wir inzwischen der Furcht immer größeren Raum geben. Angst vor KI, Angst vor Krieg, Angst vor Armut, Angst vor Krankheit, Angst vor Bedeutungslosigkeit, Angst vor Einsamkeit, Angst vor Kritik, Angst vor der Wahrheit. To be continued ...
Normalerweise ist die Angst nichts anderes als ein Frühwarnsystem. Sie soll erkennbare Entwicklungen und Probleme melden, damit wir uns darauf einstellen können, sie gegebenenfalls zu lösen oder zu umgehen.
Immer mehr Menschen scheinen allerdings diesem Frühwarnsystem inzwischen die Chef-Rolle zu überlassen haben. Die Angst ist dann nicht mehr ein geniales Tool, sondern sie bestimmt das ganze Leben.
Diese Entwicklung macht mir Angst ... Wie gehe ich damit um?
Erstens wahrnehmen, durchschauen. Zweitens loslassen.
Das Loslassen ist erforderlich, um wieder die Entscheidungsfreiheit zurückzugewinnen. Denn Angst führt zur Panik und damit zur Blindheit. Panik und Blindheit sind sicher keine guten Ratgeber. Wie kann ich erkennen, dass Angst und Furcht mich bereits über die Maßen in Besitz genommen haben?
Wenn es mir schwer fällt loszulassen, ist das ein wichtiges Indiz.
Jemand ist an einer Felsenklippe gestürzt und hält sich jetzt mühsam an einer Wurzel fest, um nicht in die Tiefe zu fallen. Er ist voller Angst (sie auch), und besinnt sich plötzlich seiner tiefen göttlichen Verbundenheit. Also ruft er: "Gott, Du bist mein Helfer und Retter, jetzt brauche ich Dich! Hilf mir!" und tatsächlich, eine Stimme meldet sich aus den Wolken: "Ich will Dir helfen." "Danke Dir, was soll ich tun?", schreit der Jemand.
"Loslassen", ertönt die Stimme aus dem Universum.
"Tat tvam Asi - das bist Du", das wäre jetzt meine Empfehlung für eine geeignete Mantra-Meditation.
Gassho
Paul
Kommentare
Manja
Loslassen erfordert Vertrauen, dass da etwas ist, was trägt, was hält. Doch ich glaube nicht, dass mich jemand halten kann, zumindest nicht verlässlich. Und ich selbst finde in mir keinen Halt, weil ich nicht weiß, wer ich bin.
Das scheint zuerst zu kommen, herauszufinden, zu spüren, wer man ist. Und im nächsten, genau darauf zu vertrauen, auf sich und das eigene Selbst.
Und erst dann glaube ich, ist loslassen möglich, nämlich vor allem sein eigenes Selbst, weil man spürt, dass es da ist und sich von ihm umfangen lassen kann, bis in den Tod hinein.