Ich denke, jeder hat das Gefühl schon einmal gehabt, „von Gott und der Welt verlassen zu sein“.

Im Sesshin taucht das meistens am zweiten Tag auf. Ja, das ist wirklich ein Scheißgefühl. Was poppt da nicht alles auf: Ängste, Traurigkeit, Wut, Resignation, Verspannungen, Herzrasen … – das ganze Repertoire unserer unangenehmsten Gefühle. Es sind typische Entzugserscheinungen. Junkies kennen das. Also sind wir alle Junkies? Ja, Social-Junkies. Wir sind abhängig von der Gemeinschaft, von anderen, von Partnern, von Freunden, von dem Gefühl, jemand zu sein in einer Community. Dieses Zugehörigkeitsgefühl finden wir am ehesten in der Familie und/oder in den Netzwerken von Freunden und Gleichgesinnten. Und wenn da nichts ist, bleiben immer noch Twitter, Facebook, Instagram. Also brauchen wir diese soziale „Abhängigkeiten“? Ja, das ist sicherlich unbestritten, der Mensch ist von Natur aus kein Einzelgänger. Wenn das so ist, wozu soll dann das Allein-Sein gut sein, ist das nicht total unnatürlich? Viele nutzen das als Ausrede, um nicht zu meditieren und am besten das Alleinsein ganz zu vermeiden. Schade. Ich glaube, ohne eine Robinson-Erfahrung kann es kein erfülltes Leben geben. Robinson Crusoe, das war der Typ, der nach einem Schiffbruch alleine auf einer tropischen Insel strandete, die unbewohnt schien. Dort hatte er sich mit dem Alleinsein arrangiert, bis ein „Wilder“ auftauchte, der ihm half, allmählich wieder in die Beziehungs-Welt zurückzukehren. Was ist das Happy End dieser Geschichte? Es ist die Versöhnung von Allein-Sein und Verbunden-Sein. Erst die macht das Leben komplett, mal ganz abgesehen davon, dass wir alle alleine sterben werden.

Nur zur Vervollkommnung: Natürlich gibt es auch Allein-Sein-Junkies. Einzelgänger oder sogar Eremiten sitzen oft in derselben Falle. Sie können nur noch alleine sein. Dazu gibt es eine schöne Zen-Geschichte:

Es war im alten Japan eine reiche Frau, die den spirituellen Werdegang eines Mönchs unterstützte, der ein Leben als Eremit führte. Sie sorgte dafür, dass er eine bescheidene Hütte in den Bergen hatte und mit dem Notwendigsten versorgt wurde. Nach einiger Zeit wollte sie überprüfen, welche menschliche Entwicklung der Mönch in seiner Hütte über die Jahre genommen hatte. Sie sandte ihre Kammerzofe, übrigens eine hübsche Frau, zu dem Eremiten mit der Aufgabe, ihn einmal herzlich zu umarmen. Gesagt, getan. Die Zofe umarmte den Eremiten freundlich. Der war schockiert, stieß die Zofe zurück und rief: „Lass das, ich bin nur ein alter, vertrockneter Stock!“ Als die Sponsorin vom Ausgang dieser Begegnung erfuhr, war sie entsetzt. „Ist das alles, was dieser Typ in all den Jahren erlernt hat?!“ Sie sandte ihre Diener, um den Eremiten zu vertreiben und die Hütte zu verbrennen …

Gassho
Paul